Fahren mit Behinderung
Experte Jörg Biedinger gibt Tipps: "Grundsätzlich wird niemand ausgeschlossen"
Besonders für Körperbehinderte ist die Mobilität, die der Besitz eines Führerscheins ermöglicht, eine entscheidende Verbesserung der Lebensqualität. Doch wie erwerbe ich als behinderter Mensch die Fahrerlaubnis und wie finde ich die richtige Fahrzeugausstattung? Jörg Biedinger, bei TÜV NORD Mobilität für Fragen rund um die Fahrerlaubnis zuständig, informiert.
Herr Biedinger, was muss ich tun, wenn ich eine Behinderung habe und gerne einen Führerschein machen möchte?
Zunächst einmal müssen Sie sich eine Fahrschule suchen, die auch behinderte Autofahrer ausbildet. Informationen darüber erhält man unter anderem bei den Fahrlehrerverbänden oder im Internet. Wenn Sie sich zur Ausbildung anmelden, wird die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel von Ihnen das Gutachten eines Facharztes oder eines medizinisch-psychologischen Instituts verlangen. Das Gutachten dient dazu, festzustellen, welche Einschränkungen konkret vorliegen. Daraus leiten sich dann die Auflagen und Beschränkungen ab, die für die Erteilung der Fahrerlaubnis notwendig sind. Im Grunde ist das ähnlich, wie die augenärztliche Untersuchung, die jeder Fahrschüler vornehmen lassen muss. Der Arzt untersucht die Sehschärfe, reicht diese nicht aus, bekommt man zur Auflage, beim Autofahren eine Brille oder Kontaktlinsen zu tragen.
Im zweiten Schritt muss die Fahrschule anhand der Auflagen das Fahrschulauto umrüsten. Sind die Füße nicht einsetzbar, können Gas und Bremse über Handhebel gesteuert werden. Reichen die eigenen Kräfte für die Steuerung eines Autos nicht aus, werden spezielle Servolenkungen installiert. Und so weiter. Fahrschulen, die sich auf die Behindertenausbildung spezialisiert haben, verfügen über entsprechend umrüstbare Ausbildungsfahrzeuge.
Schließlich bereitet man sich auf die theoretische und praktische Prüfung vor. Die Anforderungen sind dabei dieselben, wie an einen nicht behinderten Menschen. Einziger Unterschied: Der Fahrerlaubnisprüfer achtet bei der Prüfungsfahrt auch auf den Einsatz der Hilfseinrichtungen und entscheidet, ob die bereits vorhandenen Maßnahmen ausreichen, oder ob noch weitere Auflagen notwendig sind. Sind alle Auflagen im Führerschein vermerkt, wird der Führerschein ausgehändigt und sein Besitzer kann mit einem entsprechend umgerüsteten Fahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen.
Neben Auflagen gibt es auch Beschränkungen. Was ist eigentlich der Unterschied?
Auflagen richten sich an den Führer des Fahrzeuges und verlangen von ihm ein bestimmtes Verhalten, wie das Tragen einer Brille oder die Einhaltung einer bestimmten Höchstgeschwindigkeit. Beschränkungen beziehen sich auf das Fahrzeug, zum Beispiel besondere Einrichtung zum Bremsen, Gasgeben.
Was passiert, wenn ich Jahre nachdem ich meinen Führerschein gemacht habe, zum Beispiel einen Schlaganfall erleide und dann körperlich eingeschränkt bin?
Wenn Sie als Autofahrer eine körperliche Behinderung erleiden, oder sich eine bestehende Behinderung massiv verschlechtert, sollten Sie dies der Fahrerlaubnisbehörde melden. Das ist in erster Linie wichtig für Ihre Sicherheit und die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer. Und es bewahrt Sie, wenn Sie in einen Unfall verwickelt sind, unter Umständen vor Ansprüchen Ihrer Versicherung. Genauso, wie das Fahren unter Alkohol Ihre Fahreignung beeinträchtigt und den Versicherungsschutz gefährdet, kann auch das Fahren mit Behinderungen aber ohne entsprechende Vorsorgemaßnahmen den Versicherungsschutz beeinträchtigen. Auch in einem solchen Fall wird man anhand eines Gutachtens oder einer Fahrprobe ermitteln, welche Auflagen zu erfüllen sind.
Gibt es Behinderungen, bei denen man von vorne herein weiß, hier kommt Autofahren nicht in Betracht?
Es gibt glücklicher Weise heutzutage wenige Behinderungen oder Krankheiten, die das Autofahren unmöglich machen. Grundsätzlich gilt: Der Gesetzgeber schließt von vorne herein niemanden aufgrund einer körperlichen Behinderung von der Teilnahme am Straßenverkehr aus. Er sagt lediglich, dass jemand, der sich aufgrund von körperlichen oder geistigen Mängeln nicht sicher im Straßenverkehr bewegen kann, Maßnahmen treffen muss, die diesen Mangel ausgleichen. Da sind wir dann wieder bei dem Beispiel mit der Brille.
Nehmen Behinderte heute mehr am Straßenverkehr teil, als früher?
Auf jeden Fall. Das liegt zum einen sicher daran, dass Menschen mit Behinderung heute ein ganz anderes Selbstverständnis haben, als noch vor 15 Jahren. Hinzu kommt, dass Menschen mit körperlichen Behinderungen sehr stark von der technischen Entwicklung profitieren. Es gibt heute viele Möglichkeiten, ein Fahrzeug auf individuelle Bedürfnisse zuzuschneiden. Gerade der Bereich Fahrzeug-Elektronik hat viel revolutioniert. So hat Autofahren zum Beispiel nichts mehr mit Muskelkraft zu tun. Mit Ventilen oder anderen Stellgliedern können Autofahrer mit minimalem Kraftaufwand lenken, bremsen oder beschleunigen.
Zum anderen ist durch moderne Prothetik heute in vielen Fällen fast vollständige Rehabilitation möglich. Ich hatte einen Fall, in dem ein Motorradfahrer den kompletten linken Arm verloren hatte, aber trotzdem gerne weiterhin Motorrad fahren wollte. Ich war anfangs skeptisch, doch der Mann überzeugte mich bei der Fahrprobe davon, dass er mit Hilfe seiner Armprothese das Motorrad voll unter Kontrolle hatte. Er konnte seine linke prothetische Hand durch Bewegung seines Schultergelenks steuern, konnte zugreifen, festhalten und so weiter. Das hat es früher einfach noch nicht gegeben.
Wie finde ich heraus, wie ich mein Fahrzeug meiner Behinderung optimal anpassen kann?
Am besten ist natürlich, dass man ein Fahrzeug und seine Ausstattung testet, bevor man sich dafür entscheidet. Das macht jeder, der sich ein Auto kauft. Bei speziell umgerüsteten Fahrzeugen für Behinderte ist das meist schwierig. Die TÜV NORD Gruppe bietet Menschen mit Behinderung an, die eigenen Fertigkeiten im so genannten Handicap-Checkcar zu testen. Das Handicap-Checkcar ist ein Fahrzeug, das über modernste Behinderten-Fahrhilfen und Messeinrichtungen verfügt. Im Fahrzeug können die für die Bedienung notwendigen Fuß- und Handkräfte sowie die vorhandenen Bewegungsmöglichkeiten ermittelt werden, technische Hilfsmittel können direkt ausprobiert werden. So kann das individuell geeignete Auto besser konzipiert werden. Deshalb kommt das Handicap-Checkcar besonders im Bereich der Rehabilitation nach schweren Unfällen oder Krankheiten zum Einsatz.
Verursachen behinderte Menschen im Straßenverkehr häufiger Unfälle als nicht behinderte Menschen?
Nein, eher ist das Gegenteil der Fall. Behinderte Menschen wissen in der Regel sehr genau um den Grad ihrer Behinderung Bescheid und gleichen diese, neben den vorhandenen technischen Maßnahmen, auch durch eine besonders aufmerksame und defensive Fahrweise aus.